Von den Top Hotels lernen!
Es mag auf den ersten Blick etwas befremdlich wirken, wenn sich eine Abteilung im Kreis aufstellt und sich die Kollegen ein paar Minuten lang einen kleinen Ball zuschmeißen, während sie Fragen beantworten. Doch Tammo Kayser, geschäftsführender Gesellschafter des Oldenburger BMW- und Mini-Autohauses, und Geschäftsführerin Gudrun Kayser sind überzeugt: Es gibt keine effizientere Form, Wissen an ihre 240 Mitarbeiter zu vermitteln. Power Briefings nennen sie diese besondere Meeting-Art, bei der neben klassischen Fachthemen vielfach auch Soft Skills vermittelt werden. Der ständig wechselnde Briefing-Leiter vermittelt dabei kurz und prägnant sein Wissen und schmeißt dann den Ball einem Kollegen zu, der eine Frage zum behandelten Themenkomplex beantworten muss. 27 solcher Meetings finden täglich in den vier Betrieben der Freese-Gruppe statt – und das nicht etwa hinter verschlossenen Türen, sondern durchaus auch in Kundenbereichen. Vielfach würden sich auch Kunden dazustellen, schmunzelt Gudrun Kayser.
Auf diese Art von Meetings sind die beiden Kfz-Unternehmer in der gehobenen Hotellerie und Gastronomie gestoßen, wo diese schon länger Standard sind. Seit nunmehr zehn Jahren dienen Luxushotels wie das Ritz Carlton und Sternerestaurants Tammo und Gudrun Kayser als Inspirationsquelle. Ihr Ziel ist, ein Fünfsterne-Autohaus zu haben, in dem die Kunden und die Mitarbeiter gleichermaßen rundum zufrieden sind.
Im ersten Schritt begannen die beiden Autohauschefs, über ein IT-System Kundenfeedbacks zu erfassen. Damals wie heute fordern sie die Meinungen offensiv über Onlineterminals im Autohaus, die eigene Website und über Visitenkarten mit einem entsprechenden QR-Code ein. „Wir hätten nie gedacht, dass wir so viel Feedback bekommen“, freut sich Tammo Kayser.
Parallel dazu fingen die beiden Unternehmer an, ihre Mitarbeiter über ein intensives Inhouse-Schulungsprogramm mit branchenfremden Trainern nicht nur fachlich weiterzubilden, sondern auch zwischenmenschlich. Wer heute seinen neuen Job im Autohaus Freese antritt, lernt vor dem praktischen Arbeitseinsatz eine Woche lang, wie wie man sich anzieht, wie man die Kunden richtig anspricht oder wie man ihnen richtig die Hand gibt: „Wir können als Geschäftsführer nicht immer überall vor Ort sein, unsere Mitarbeiter sind in aller Regel der Kontaktpunkt zu den Kunden. Folglich ist ihre Einstellung zur Arbeit und den Kunden entscheidend“, betont Gudrun Kayser. Auch ihre Strukturen hat die Freese-Gruppe in diesem Zuge angepasst: Als Schaltzentrale für etwaige Kundenbelange hat sie eine CRM-Abteilung gegründet.
Sollte trotz aller Achtsamkeit etwas schiefgehen, glättet die Freese-Gruppe die Wogen mit dem SOS-Budget in Höhe von bis zu 500 Euro, das in vielen Luxushotels ebenfalls Standard ist: Jeder Mitarbeiter kann den Kunden ein Goodie anbieten, beispielsweise eine Flasche Champagner oder ein Gutschein für einen Restaurantbesuch -, ohne Rücksprache mit einer Führungskraft halten zu müssen. „Man kann die Kunden nur einfangen, wenn man binnen drei bis sechs Stunden reagiert. Wenn wir unser O. K. geben müssten, wäre das zeitlich nicht machbar“, erklärt Tammo Kayser.
Erkannt hat der Autohausgeschäftsführer auch, dass zufriedene Mitarbeiter die Basis für zufriedene Kunden sind. Nach den positiven Erfahrungen mit den Kundenfeedbacks befragt das Autohaus, das jährlich knapp 3.000 Neu- und Gebrauchtwagen vermarktet, seit rund zwei Jahren folglich auch sein Team nach dessen Zufriedenheit: Und das – anders als in vielen Unternehmen üblich – nicht nur einmal im Jahr, sondern kontinuierlich über ein digitales Feedbacksystem. Die Software des Start-up-Unternehmens Vyfster erfasst dabei nicht nur Meinungen. Sie klassifiziert auch über einen Algorithmus Begriffe in den Kunden- oder Mitarbeitermeinungen, setzt die Daten in Korrelation und legt dann die Linien der Mitarbeiter- und der Kundenzufriedenheit übereinander: „Gehen die Linien deutlich auseinander, besteht Handlungsbedarf“, erklärt Junior Maximilian Kayser, Gründer und Geschäftsführer von Vyster, der sein Programm mittlerweile auch branchenübergreifend vermarktet. Tammo Kayser fügt hinzu: „Dort wo die Mitarbeiterzufriedenheit deutlich unter der Kundenzufriedenheit liegt, muss sich ein Unternehmen die Kundenzufriedenheit teuer erkaufen.“ Indem man für eine natürlich gewachsenen Mitarbeiterzufriedenheit sorge, könne man folglich viel Geld sparen.
Rund 15.000 Daten hat das Autohaus seit der Einführung des Programms vor einem guten halben Jahr gesammelt. Dabei hat es festgestellt, dass im Regelfall weiche Faktoren wie die Entwicklungsmöglichkeiten, die Arbeitsplatzgestaltung oder die Wertschätzung einen großen Einfluss auf die Mitarbeiterzufriedenheit haben: „Wir haben mit dem IT-Programm, das ich gerne mit einem großen Blutbild vergleiche, eine permanente Rückkopplung, ob das, was wir tun, richtig ist“, erklärt Tammo Kayser. Vyfster ersetze bei Freese die kostspieligen Unternehmensberater – schließlich gebe es keine besseren Berater als die eigenen Kunden und Mitarbeiter.
Alte Denkmuster und verkrusteten Strukturen hat das Autohaus im Bemühen um seine Fünfsterne-Klassifizierung mittlerweile ebenfalls aufgebrochen: So hat es vor Kurzem auch die Du-Kultur eingeführt – mit erstaunlichen Folgen, wie Gudrun Kayser schildert: „Die Atmosphäre ist jetzt viel familiärer, das bekommen wir
auch positiv von unseren Kunden widergespiegelt.“
Auch finanziell tragen die Bemühungen trotz der höheren Personal- und Schulungskosten Früchte, unterstreicht Tammo Kayser: „Ich bin überzeugt, dass die höhere Achtsamkeit jedes einzelnen Mitarbeiters wesentlich dazu beiträgt, dass unsere Umsätze in den vergangenen Jahren auf mittlerweile rund 80 Millionen Euro gestiegen sind und unsere Rendite überdurchschnittlich hoch ist.“
Auch anderen automobilen Handelsbetrieben will das Autohaus Freese nun seine langjährigen, aus der Hotellerie gesammelten Erfahrungen weitervermitteln – in Form von Seminaren. Eine geeignete Immobilie mit Schulungsräumen in Oldenburg wird aktuell zum Freese-Labor umgebaut.